Die 'Digitalisierungslüge'

Vor- und Nachtteile einer smarten Welt durch Handy & Co.

„Das Niveau sinkt“

Generation Handy – Jugendliche sieht man praktisch nicht mehr ohne, auch viele Kleinkinder wischen schon fröhlich auf Smartphone oder Tablett herum. Aber was macht das mit ihnen? Wie verändert sich das Gehirn, was hat das für Auswirkungen, ist das gesund? Fragen gibt es viele – wir haben uns einige Antworten von einem Experten geben lassen. Karl Valent kennt sich mit der Technik rund um das Smartphone aus und als Berufsschullehrer und Referent an den Hochschulen, auch mit Pädagogik.

Von Katrin Waldner

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Grafik: envato Elements

Bei der Handynutzung scheiden sich die Geister. Die einen fordern Beschränkungen, warnen vor Schäden. Die anderen können keine Gefahr erkennen und preisen den Fortschritt der Technik. Was macht die Nutzung von Smartphones mit Kindern?

Karl Valent: Die Veränderungen, die ich beobachte sind massiv. Das Niveau sinkt deutlich. Vor allem Kinder, deren kognitive Leistungen schwächer sind, haben durch die intensive Nutzung von neuen Medien, mehr Nachteile als gute Schüler.

Studien belegen, dass die Nutzung sich auf die Schulleistung auswirkt. Je mehr neue Medien genutzt werden, desto schlechter schneiden die Kinder ab.

 

Können Sie das auch in Ihrem Berufsalltag als Berufschullehrer beobachten?

Valent: Die Auswirkungen, die ich sehe, sind schlechtere Konzentration und Gedächtnisleistung, geringe Ausdauer, aber auch motorische Defizite. Das liegt einerseits an permanenter Ablenkung, andererseits daran, dass Kinder immer weniger über Bewegungsabläufe lernen. Wenn man schreiben nicht mehr motorisch – mit Stift und Papier – lernt, gehen wichtige Verknüpfungen im Hirn verloren. Tablettklassen zum Beispiel halte ich für einen Fehler: Ein Affe kann auch tippen, aber schreiben kann er nicht. Hier wäre Dr. Spitzer, ein Neurobiologe, zu zitieren. Er meint, man könnte das beste Tablett in einem Aquarium versenken, die Fische werden davon nicht intelligenter!

Zusammengefasst kann man festhalten: Je schwächer der Schüler, desto massiver die Nachteile durch die Nutzung von Handy, Tablett und Co.

 

Das heißt die Nutzung von neuen Medien hat Auswirkung auf die kognitive Leistungsfähigkeit von Schülern. Sind auch gesundheitliche Auswirkungen wissenschaftlich erwiesen?

Valent: Es gibt gesundheitliche Auswirkungen von Smartphones. Man kann sie in thermische und athermische einteilen: Thermische Auswirkungen sind beispielsweise ein warmes Ohr, das man durchs Telefonieren bekommt. Das sagt zunächst einmal nichts anderes aus, als dass das Hirn beim Telefonieren warm wird – ob ein warmes Hirn wirklich schlecht ist, weiß man schlicht noch nicht.

Dann gibt es aber noch die athermischen Auswirkungen der Strahlung: Eine Studie mit Ratten, die 2003 von Leif G. Salford[1] durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass GSM-Strahlung die Blut-Hirn-Schranke bei den Ratten durchlöchert hat.

 

Bisher klingt ihr Resümee nicht sehr positiv – aber bergen die neuen Medien nicht auch Chancen? Kann man sie nicht auch sinnvoll im Unterricht einsetzen und den Unterricht damit interessanter gestalten?

Valent: Intelligente Kinder mit einer guten kognitiven Basis können die Geräte für ihre Zwecke nutzen und finden auch Lösungen. Die anderen spielen – sie können das Smartphone nicht für Lernzwecke nutzen, lassen sich durch Spiele und Videos ablenken. Der Hauptteil der Zeit wird für soziale Medien (Instagram, SnapChat, Facebook, Tiktok, etc.) Googeln hat auch nur mit Vorwissen Sinn, sonst muss man den Suchergebnissen glauben und das ist in Zeiten von Fake News und Alternative Facts nicht immer die beste Option.

 

Manchmal sieht man Kleinkinder mit Handys im Einkaufswägen sitzen, in jedem Warteraum, aber auch im Urlaub (während des Essens) werden Kinder mit Bildschirmen ruhig gehalten, daheim wird am Tablett weitergewischt. Was ist Ihre Empfehlung zur Nutzung von Smartphones? Ab welchem Alter ist es sinnvoll?

Valent: Ich empfehle, Kindern erst ab 16 ein Smartphone zu geben. Davor hat es für sie fürs Lernen keinen Sinn und ist auch aus vielen anderen Gründen problematisch. Leider bringt dies die Kinder oft unter sozialen Druck, da der Freundeskreis sich über soziale Netzwerke verbindet. Man darf aber nicht vergessen, dass das Internet kein geschützter Raum für Kinder ist. Ein tragbarer Kompromiss können Einschränkungen bei der Internet-Nutzung und Kinderschutz am Handy sein.

[1] L. G. Salford et al.: Nerve Cell Dammage in Mammalian Brain after Exposure to Microwaves from GSM Mobile Phones, 2003.

Dr. Karl Valant

Ing. Mag. Dr. Karl Valent

Studium an der Universität Klagenfurt und PH Graz, Entwicklung des Rahmenlehrplans für den neuen Beruf des Mechatronikers, Aufbau einer praxisorientierten Mechatronikerausbildung, Referent an in- und ausländischen Hochschulen, Lehrauftrag an der Pädag. Hochschule, Berufschullehrer.

Dr. Valents Lesetipps:

  • Spitzer, Manfred: Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Droemer Verlag, München 2012.
  • Spitzer, Manfred: Die Smartphone-Epidemie. Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft. Klett-Cotta, Stuttgart 2018/19.
  • Brüning, Schulze: Wer nicht schreibt, bleibt dumm. Warum unsere Kinder ohne Handschrift das Denken verlernen. Piper Verlag. Berlin 2017.